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Unparteiische Universal-Kirchenzeitung
für die Geistlichkeit und die gebildete Weltklasse des protestantischen,
katholischen, und israelitischen Deutschland's.
Frankfurt a. M., den 23. November 1837. Nro. 94.
Die ehemalige kathol. Domkirche zu Lund. —
Kirchliche Nachrichten
. Norwegen. Christiania; Säkularfeier der Reformation. — England. London; Besetzung erledigter geistlicher Stellen durch Anhänger des Ministeriums; beabsichtigte Absendung von Missionären nach China; Abgang von Missionären nach Ostindien, Südafrika und den Südsee-Inseln; Wirksamkeit der Londoner Frauenmission; eine neue Sekte von Fanatikern in London; Proselytenmacherei derselben; Dr. Gartner im Bildnisse verbrannt; Bekehrung vom Christen zum Judenthum; der anglikanische Klerus und seine Rechte. Windsor; Nichtbewilligung der Kirchensteuer. — Irland. Armagh; Vergeblichkeit des Beitreibens des Zehnten. — Böhmen. Prag; Stiftung eines Blinden-Instituts von Dr. Aloys Klar; Corresp.-Ber., eine Beleuchtung einer Kritik in der Aschaffenburger „Katholischen Kirchenzeitung“ enth. — Deutschland. Braunschweig. Bestattung; Promotionen zur Doktorwürde. Blankenburg; Beförderung. —
Theologische Akademie.
Kathol. Abth. Ueber Dr. Martin Luther's Rechtfertigung vom Kirchenrath Dr. Petri gegen Dr. Zehrt. Von Georg Joseph Götz, Dekan und Pfarrer in Gnadenberg, bei Neumarkt, im Regenkreise Bayern's. —
Protest. Abth. Versuch einer Union der evangel. Kirche, im Dogma des heil. Abendmahls. Von F. W. Frey, Dekan zu Umstadt. (Forts.) —
Israel. Abth. Ueber die zwei theologischen Parteien im Judenthum. Von Dr. B. H. Auerbach, großherzogl. hess. Rabbiner in Darmstadt. Mit Anmerkungen begleitet vom Oberlehrer Dr. M. Heß. (Schluß.) —
Anzeigen.
|Sp. 1487|
Die vom Professor Brunius in Lund
im vorigen Jahre herausgegebene architektonische und historische Beschreibung ,der Domkirche Lund's
(von der sich eine Anzeige in der dänischen Monatsschrift etc. von Molbeck
befindet) hat auch in Dänemark großes Interesse erregen müssen, da diese Kirche 5 Jahrhunderte hindurch die Metropolitan-Kirche des dänischen Reiches, und fast 3 Jahrhunderte hindurch der Sitz des mächtigen dänischen Bischofs war, welcher so oft in einem feindseligen Verhältnisse zu den dänischen Königen stand. Diese Kirche in Lund ist ein Werk der früheren Architekten des Mittelalters, bei welcher noch der, mitunter sogenannte, sächsische, hier wahrscheinlich von England eingeführte Styl vorherrscht. Die Zeit der Erbauung fällt in die letzte Hälfte des 11. Jahrhunderts; die endliche Einweihung fand 1145 Statt. — Von den größeren Kirchen Dänemarks ist Biborg‘s Kirche die einzige, welche in demselben Styl aufgeführt ist (zwischen 1128 bis 1169), aber auch viele unter den Dorfkirchen Jütland's von gehauenem Granit gehören derselben Struktur an. — Das Lund'sche Kapitel war außerordentlich reich, da es außer einer Menge von Häusern in Lund selbst und anderen Städten nicht weniger, als 925 Bauernhöfe besaß, wovon 4 Prälaturen, 30 Kanonikate, 14 Mensal-Präbenden und 49 Vikariate unterhalten wurden. Dieses ganze Vermögen, wie auch das der Domkirche, blieb unter der dänischen Regierung unangerührt bis zur Abtretung Schonen‘s an Schweden, 1658. Zehn Jahre später ward die Universität Lund errichtet, und derselben alles Kapitelgut zugetheilt, welches Karl XI. jedoch, trotz seiner Schenkungs- und Versicherungs-Briefe, 1682 fast ganz einzog, und zwar zur Errichtung und Unterhaltung von zwei Kavallerie-Regimentern. Die Universität erlitt dadurch eine Erschütterung in ihrer Grundfeste, von der sie sich nie erholt hat, obgleich nothgedrungen später aus den Staatsmitteln etwas für sie gethan ward. — Die Stadt Lund selbst, früher eine der größten Dänemarks, war in der Mitte des 17. Jahrhunderts auf 300 Häuser reduzirt, wovon 1678 in dem Kriege zwischen den Schweden und Dänen, über die Hälfte in Asche gelegt wurde. In der Mitte des 15. Jahrhunderts besaß Lund 19 Pfarrkirchen außer den Klosterkirchen und der Domkirche; seit 1452 aber, wo die Stadt vom schwedischen Könige Karl Knudsen zerstört |Sp. 1488| ward, hat sie sich nicht erholen können. Die frühere Residenz des Erzbischofs ist seit 1680 das Auditorium der Universität,
jetzt vielleicht das älteste Wohngebäude im Norden.
(Journ. f. d. neuesten Land- u. Seereisen)
Norwegen.
Christiania, den 7. Nov. Vorgestern und gestern wurde hieselbst die dritte Säkularfeier der Einführung der Reformation begangen. Gestern waren alle Kirchen, namentlich die zum heil. Erlöser (Vor Frelsers Kirke), wo der Bischof selbst predigte, mit Menschen überfüllt. Nach der Predigt wurde eine Cantate von einem zahlreichen Chor abgesungen; vom Kirchthurm wurden Choräle mit der Posaune geblasen und Abends war die Kirche glänzend erleuchtet und Vokalmusik daselbst veranstaltet. Gestern war Universität-Feier. Die Behörden versammelten sich beim Vice-Kanzler, und gingen mit ihm an der Spitze in Prozession zum Storthings-Saale, wo Hr. Dietrichson, Theol. lector, eine passende Rede hielt. Sodann wurde eine Cantate von Männerstimmen abgesungen. Nachmittags wurde mit allen Glocken geläutet, Abends war das Universitäts-Portal mit Lampen geschmückt, und in einem Transparent über demselben erblickte man ein Sinnbild, welches die heil. Schrift und das Kreuz vorstellte.
(Frankf. J.)
England.
London. Die Tories sehen es schon lange mit Neid und Aerger, wie die Minister immer mehr ihr Patronat dazu benutzen, um alle in Erledigung kommenden Stellen, insbesondere die Bisthümer, an freisinnige, ihnen anhängende Männer zu vergeben. Ueber die nach diesem Systeme vorgenommenen Besetzungen von Bisthümern sind sie besonders erbittert, weil sie dieses Patronat lange Reihen von Jahren hindurch als ihr erbliches Eigenthum anzusehen sich gewöhnt hatten, während jetzt vermittelst desselben die Zahl der liberalen Elemente im Hause der Lords vermehrt wird. Der John Bull, das heftigste der Toryblätter, behauptet jetzt, es sey in verschiedenen Diözesen im Werke, I. Majestät durch Bittschriften anzugehen, daß sie bei den der |Sp. 1489| Krone zustehenden Ernennungen zu Kirchenämtern die Vorschläge des O'Connell-Ministeriums nie genehmigen möge, ehe sie die Prälaten im Geheimenrathe, die zwei Erzbischöfe und den Bischof von London um Rath gefragt habe. Natürlich geht dieser Vorschlag von jenem überwiegenden Theile der hochkirchlichen Geistlichkeit aus, welcher, wenn er sich nicht klug dem Systeme der Minister fügt, während der Amtsführung derselben von den höhern Kirchenstellen ausgeschlossen ist.
(Schwäb. M.)
— Die Londoner Missionsgesellschaft hat den Plan nicht aufgegeben, für China, wo die (prot.) Missionsunternehmungen bekanntlich bis jetzt schlechten Fortgang nehmen, Missionäre zu gewinnen, die nicht nur im Besitze der nächsten Erfordernisse eines Glaubensapostels, sondern zugleich, treffliche Aerzte und Chirurgen seyn sollen. Das untenbenannte Blatt bemerkt, solche chirurgische Missionäre möchten wohl schwer zu finden seyn, zumal da im himmlischen Reiche das eigene Reglement bestehe, daß ein Wundarzt, der eine gefährliche Operation verrichtet, woran der Kranke stirbt, mit dem Tode bestraft wird, wenn er nicht durch eine besondere gerichtliche Urkunde zur Vornahme der Operation ermächtigt worden war.
(Globe)
— Am 16. Okt. fand in der Exeter-Hall eine sehr zahlreiche Versammlung statt, in welcher eine Anzahl Missionäre mit ihren Frauen von dem Vereine Abschied nahmen, um sich dann nach Ostindien, Südafrika und den Südsee-Inseln einzuschiffen. Die Versammlung bestand zumeist aus elegant gekleideten Damen. Unter andern erschien darin auch ein Kaffern-Häuptling, mit Namen Jan Idzadzon, mit militärischer Kleidung. Er steht, schreibt das untenbenannte Blatt, auf dem Punkte, auf Befehl der Regierung, wieder in seine angestammte Herrschaft und Würde eingesetzt zu werden. Dieser humane Entschluß der Regierung ihm und vielen andern Häuptlingen die ihnen gebührenden Rechte zurückzugeben, ward in Folge der Resolutionen einer Unterhaus-Comitee gefaßt, vor welcher mehrere Missionäre vernommen worden waren.
(Morning Herald)
— Die Londoner Frauenmission hat jetzt drei Arbeiterinnen; eine unter den armen Müttern im östlichen Theile der Stadt; eine, die sich mit jungen ehrbaren Frauenzimmern und jungen Mädchen im nördlichen Stadttheile in Verbindung setzt, und eine, welche sich mit unehrbaren Frauenzimmern der Stadt einläßt, um es zu versuchen, die vom Wege des Lasters abzulenken. Wann es nöthig ist, eröffnet sie schriftliche Besprechung mit den Eltern oder Vormündern der Bußfertigen und sucht, diesen wieder Aufnahme zu verschaffen. Außerdem aber hat die Gesellschaft ein Zufluchtshaus für Bußfertige, das jetzt 23 Insassen zählt. Eine christlich-gesinnte Dame besucht diese alle vierzehn Tage, und liest die heilige Schrift mit ihnen, der Gemeinde-Pfarrer kommt wöchentlich zu ihnen und andere Geistliche gelegenheitlich. Die Londoner Stadt-Mission läßt Sonntags dort durch ihre Arbeiter Gottesdienst halten. Es wird aber jetzt in einem andern Theile der Stadt eine zweite Zufluchtsstätte errichtet.
(Berged. Bote)
— Eine neue Sekte von Fanatikern in London. Man kann behaupten, daß die religiösen Schwärmer, wo sie sich zeigen, mit jedem Tage ausschweifender und wahnwitziger werden. So hat neuerdings in London ein gewisser Dr. Irving einen kleinen, recht leidigen Haufen Gläubige zusammengebracht, welche sich „die Sekte der unbekannten Sprache“ nennt, weil sie ihre Vorträge und Bußübungen theils in unartikulirten Tönen, theils in einem Kauderwelsch abhalten, so sinnlos, daß die Pescherähsprache dagegen noch klassisch ist. Es fehlt natürlich nicht an Gräueln, die unter diesen Wahnsinnigen schon vorgekommen sind. — So stieß unlängst ein Elternpaar, das sich zu der „Sekte der unbekannten Sprache“ bekannte, seine beiden Kinder, einen Knaben und ein Mädchen, unter Schmähungen und Mißhandlungen aller Art zum Hause hinaus, welche nun in der Nacht auf der Straße umherirrten und, halb erstarrt vor Kälte, von der Polizei aufgegriffen wurden. Als die beiden Kinder darüber verhört wurden, fand es sich, daß sie von den Eltern zur andächtigen Beiwohnung eines Conventikels waren gezwungen worden, wobei ihnen jedoch der ungeheure Unsinn, den die Gläubigen zu Tage förderten, so komisch vorkam, daß sie in ein lautes Gelächter ausbrachen. Darüber empört, fielen beide Eltern über die armen Geschöpfe her, und stießen sie unter Flüchen und Verwünschungen aus dem Hause. Hayevard, so hieß der verrückte |Sp. 1490| Vater ward nun vorgeladen. „Warum habt Ihr Eure Kinder verstoßen?“ fragt der Richter. „Weil sie“, entgegnete Hayevard mit wüthendem Blicke auf die Kinder, „unwürdige und verderbte Geschöpfe sind, die den Lüsten der Welt nicht entsagen wollen, und nicht beitreten wollen der großen und heiligsten Gemeinschaft, gestiftet von dem reinen Evangelisten Dr. Irving.“ „Haltet Ihr“, fragte der Richter, „es denn für christlich gehandelt, die eigenen Kinder dem Elende preiszugeben?“ „O, lieber Herr“, erwiedert der Angeklagte im scheinheiligen Tone, „ich habe noch 8 Kinder außer diesen, die sämmtlich der neuen gereinigten Lehre mit uns zugethan sind. Sie verstehen die unbekannte Sprache ebensowenig als ich, allein sie sprechen dennoch sehr gut, wenn sie sich im Zustande der Inspiration befinden, so daß Dr. Irving uns ihre Worte verdollmetschen kann. Soll ich nun um zwei räudiger Schafe willen Gefahr laufen, die ganze Heerde zu verderben? Nein, das soll nie geschehen. Weil diese nichtswürdigen Geschöpfe unsere heiligen Ceremonieen verspottet haben, so hat der heilige Geist befohlen, sie von mir zu stoßen, und sie wieder aufzunehmen, wäre eine Sünde wider denselben.“ In der That war der unwürdige Vater durch Nichts zur Wiederaufnahme seiner Kinder zu bewegen, so daß man sie einstweilen in einem öffentlichen Arbeitshause unterbringen mußte.
(Allg. K.-Ztg.)
— Die Irvingianer in England, die da vorgeben, daß sie die eigentliche ursprüngliche christliche Gemeinde sind und sich darauf berufen, daß bei ihnen mit fremden Zungen durch den Geist Gottes geredet werde, schicken jetzt namentlich durch Frankreich und die Schweiz Prediger ihres Glaubens aus. Solchen ist es in Genf gelungen, den Professor an der theologischen Schule der evangelischen Gesellschaft, Preiswerk, nebst zwei deutschen auf dieser Anstalt Studirenden in ihre Irrthümer zu verführen. Preiswerk hat natürlich sogleich sein Amt aufgeben müssen und an seine Stelle ist der bisherige Prediger Koester von Frankfurt am Main getreten.
(B. B.)
— Der Moderator der schottischen Kirche (Präsident der presbyterianischen Generalsynode) Dr. Gartner ist, weil er bei der letzten Wahl als entschiedener Vertheidiger eines Torycandidaten aufgetreten war, von seiner eigenen Gemeinde im Bildnisse verbrannt worden.
(A. K. Kztg.)
— Das untenbenannte Blatt meldet, daß in Guernsey, wo eine Gesellschaft zur Bekehrung der Juden zum christlichen Glauben bestehe und ihren Zweck eifrig verfolge, jetzt plötzlich ein Rabbiner aufgetreten sey, der die Christen zum Judenthum zu bekehren sich angelegen seyn lasse, und es im Disputiren mit jedem christlichen Gottesgelehrten, der der hebräischen Sprache Meister sey, aufnehmen zu wollen erkläre.
(Sherbourne Journ.)
— den 26. Okt. Die herrschende Geistlichkeit scheint sich sehr angelegen seyn zu lassen, mit der gegenwärtigen Regierung eine Lanze zu brechen. Die Ursachen dieser Feindschaft liegen klar zu Tage. Es sind die organischen Veränderungen, welche mit der Schwesterkirche Irland nach den redlichen Ansichten der Minister vorgenommen werden müssen, und die Anforderungen einer wichtigen Partei in vielen Städten Englands, manche drückende Verhältnisse der Kirche beseitigt zu sehen. Die Geistlichkeit gebraucht nun die Taktik, selbst als Klägerinn aufzutreten. Sie verlangt unter Anderm förmlich die Aufhebung der Controle der Krone über die Wahl der Bischöfe, wodurch es dieser allein noch möglich bleibt, auf diesen politisch-kirchlichen Körper einigen Einfluß auszuüben. In einer Vorstellung der Geistlichkeit aus der Diözese Durham an den Erzbischof von York verlangt sie ihre besonderen Convocationsversammlungen oder Synoden gleichzeitig mit dem Parlament und eine gänzliche Unabhängigkeit von der Regierung bei den Bischofswahlen. So weit geht die Verblendung dieser Herren, daß sie in dieser Vorstellung behaupten, sie stehen in ihren Vorrechten den Juden, Muhamedanern und Ungläubigen (sic!) nach. Untersucht man nun die wirklichen praktischen Privilegien, politischen Einflüsse und finanziellen Vortheile der anglikanischen Kirche in dem Augenblick, wo dieses niedergeschrieben wird, so kann man mit Recht fragen, ob es in der ganzen Christenheit eine Geistlichkeit gebe — etwa die in dem kleinen römischen Staat ausgenommen — welche sich solcher Vorrechte zu erfreuen hat? Es soll hier das gar nicht erwähnt werden, was auf Würden und andere ceremonielle Privilegien derselben Bezug hat; beschränken wir uns bloß auf den practischen |Sp. 1491| Einfluß der Geistlichkeit im Staate. Da ergibt sich denn in politischer Hinsicht erstens, daß der Erzbischof von Canterbury und der Bischof von London Mitglieder des geheimen Rathes seyn müssen, und als solche steten Eintritt zum Souverän haben, wenn sie es verlangen. Zweitens sind die Erzbischöfe und Bischöfe ex officio Mitglieder des Oberhauses, und bilden einen integralen und, vermöge ihrer Zahl, wichtigen Theil der brittischen Legislatur. Hat die Geistlichkeit auch keinen Sitz im Unterhause, so ist nichtsdestoweniger ihr Einfluß als Inhaber der Kirchenländereien und als Selbstwähler auf die Wahlen sehr groß, und sie werden von Männern, wie Sir R. Peel und vielen andern Mitgliedern von ihrer Partei besser vertreten, als sie es durch sich selbst könnten; überdieß sind sie auch unmittelbar und wesentlich durch die Mitglieder für die Universitäten Oxford, Cambridge und Dublin repräsentirt. Drittens sind sie größtentheils im Besitze der Magistratur (Justice of the Peace) im Innern, und haben dadurch in einem hohen Grad einen unmittelbaren Einfluß auf die Verwaltung der Grafschaften und die Justiz. Viertens gehören ihnen alle Diözesangerichte im Lande, was ihnen bei allen Hinterlassenschaften großes Gewicht gibt. Fünftens haben sie die unmittelbare und ausschließliche Verwaltung aller wichtigen Fundationsschulen im Lande, wie z. B. Eton, Harrow, Winchester, Rugby und unzählige andere Stiftungen. Sechstens sind die großen Landesuniversitäten Oxford und Cambridge und jetzt auch Dublin wesentlich ihr Eigenthum — es sind rein kirchliche Corporationen mit einem äußerst großen Einfluß auf alle höheren Stände des Landes. Siebtens steht die herrschende Kirche in der innigsten Wechselverbindung mit dem Adel und der Gentry des Landes, Das ganze Patronatrecht im Königreiche (mit Ausnahme eines kleinen Antheils der Krone) wird von und zu Gunsten dieser beiden Klassen selbständig von ihnen selbst ausgeübt. Blickt man nun auf das finanzielle Wesen der Kirche, so gehört derselben erstens der reiche Zehnten des Landes (mit Ausnahme dessen, was sich in den Händen von Laieneigenthümern befindet); zweitens die bedeutenden Kirchenländereien und großes Grundeigenthum in den Städten; drittens alle Stolgebüren und Osterabgaben; viertens die sogenannten Kirchenabgaben (church rates) zur Unterhaltung ihrer Kirchen und des Gottesdienstes; fünftens die Einsammlung von Kirchenkollekten durch das ganze Land, vermöge königlichen Ausschreibens (King's or Queen's Letters) zum Unterhalt der von ihnen geleiteten Pfarr- oder Armenschulen; sechstens bedeutende Einkünfte aus den reichen Universitätsfonds; siebentes Zuschüsse aus dem parlamentarischen Fonds, genannt Queen Ann's bounty, bei geringen Pfarreien; achtens ausschließliche Anwartschaft auf alle Domherrenstellen bei den Kathedralen und alle Kaplaneien bei'm Hof und dem hohen Adel; neuntens freier Besitz von prachtvollen Gebäuden für die Bischöfe und andere Dignitarien, und von guten im besten Zustande erhaltenen Pfarrhäusern im ganzen Lande. Sicherlich gibt es keine Klasse der Gesellschaft hier oder anderswo, welche in unsern Tagen sich so vieler gesetzlicher Vortheile erfreute, und vom Staate so unabhängig wäre, als die anglikanische Geistlichkeit. Es erfordert großen Takt und Gewandtheit von Seite des gegenwärtigen oder jedes andern Reformministeriums, die Spaltung mit der Geistlichkeit auf den möglichst engen Kreis zu beschränken. Ohne die tiefe Verwurzelung und Verschmelzung dieser Klasse mit den höheren und mittleren Ständen des Landes zu erwähnen, beurkundet das oben Angeführte hinlänglich ihr außerordentliches Gewicht im Staat, und Ref. ist es auch wohl bekannt, daß Lord Melbourne bei all' seiner Festigkeit und Charakterstärke sich doch wohl hütet, das der Krone seit der Reformation nach dem Statut 25 Heinrichs VIII. zukommende Recht der bischöflichen Ernennungen in absolute Ausführung zu bringen, oder mit andern Worten, den Kapiteln Geistliche zur Wahl als Bischöfe anzuempfehlen, die wegen ihrer Ansichten über die in ihrer Kirche vorzunehmenden Verbesserungen bei ihren Amtsbrüdern nichts weniger, als in gutem Geruche stehen, wie groß auch ihre Frömmigkeit und ihre Gelehrsamkeit seyn mögen.
(Allg. Ztg.)
–†– Windsor. Hier ist der Vorschlag, eine Kirchensteuer (churchrate) einzuziehen, mit 299 gegen 4 Stimmen verworfen worden. Die Minorität bestand aus lauter Kirchenältesten. So dauert der stille Volkswiderstand gegen diese auf Nichthochkirchliche ebenso, wie auf Angehörige der Hochkirche sich erstreckende Steuer fort, |Sp. 1492| und bahnt die bis jetzt durch die Tories verhinderte Ausgleichung dieser Frage immer mehr an.
(Globe)
Irland.
–†– Armagh. Die Zehnten-Feldzüge sind meistens erfolglos, weil gewöhnlich auf ein von den ausgestellten Spähern gegebenes Zeichen alles bewegliche Besitzthum des Auszupfändenden weggebracht oder verborgen wird. So traf kürzlich der Sherif von Armagh, als er aus Auftrag des hochkirchlichen Pfarrers Maclean unter dem furchtbaren Geleite von 300 Soldaten und Polizei-Constables zu Pferd und zu Fuß gegen Newtownhampton auszog, das Nest leer; nach eintägigem Suchen war es ihm zwar gelungen, einer Ziege habhaft zu Werden, aber auch diese entkam dem militärischen Geleite, und die Hunderte von Bauern, welche dem Abentheuer zusahen, brachen in unauslöschliches Gelächter aus, als sie in hohen Sätzen in die Berge eilte.
(Globe)
Böhmen.
Prag, im Oktober. Wie bekannt, hat der kaiserlich königlich österreichische ordentliche Professor der Präger Universität, Herr Dr. Aloys Klar, kurz vor seinem Tode eine Versorgungs- und Beschäftigungsanstalt für erwachsene Blinde in Prag gestiftet, und in den, von ihm verfaßten, von Sr. Maj. dem Kaiser bestätigten Statuten den Wunsch ausgesprochen, daß diese Anstalt mit der Zeit den ehrwürdigen barmherzigen Schwestern anvertraut würde. Kurz nach dem Aufleben dieser Anstalt starb ihr menschenfreundlicher Stifter, und sein Sohn übernahm, nach dessen Wunsche, die Leitung der Anstalt. Mit unermüdetem Eifer arbeitete der Sohn im Geiste seines vortrefflichen Vaters an dieser schönen Humanitätsanstalt, und ein rasches Gedeihen lohnte seine vielfältigen Bemühungen. Obwohl die Hinterbliebene Wittwe des Stifters sich ganz den armen Blinden widmete, und ihnen, im wahren Sinne des Worts, eine theilnehmend-sorgsame Mutter war, so gingen des Sohnes unabläßige Bemühungen doch dahin, den frommen Wunsch seines Vaters zum Besten der leidenden Menschheit rücksichtlich der barmherzigen Schwestern ja verwirklichen. — Ihm war kein Opfer zu groß, und keine Bemühungen zu beschwerlich. Von diesen Gesinnungen geleitet, gelang es ihm endlich, zu dem erwünschten Ziele zu kommen. — Hr. Paul Aloys Klar besuchte kürzlich mehrere Häuser der barmherzigen Schwestern in Deutschland und Frankreich, und begleitete sechs Schwestern von St. Charles aus Nancy nach Prag, um sie in der, von seinem Vater gestifteten Anstalt einzuführen. Vier dieser Schwestern stammen aus Böhmen, und begaben sich vor mehreren Jahren nach Nancy in das Ordenshaus der Schwestern von St. Charles, um sich für den Orden vollkommen auszubilden. Die andern beiden Schwestern sind Französinnen, und sollen bei der ersten Einrichtung mit Rath und That an die Hand gehen, was sich wohl um so getroster erwarten läßt, da die Eine von ihnen das Haus in Saarlouis einrichtete, und gegen 15 Jahre das Haus in Trier mit allgemeiner Auszeichnung vorstand. — Die Schwestern gingen über München, und sind Ende Septembers in Prag eingetroffen, wohin sie die besten Wünsche aller Derer begleiteten, die sie auf ihrer Reise durch ihr frommes, gemeinsames Wesen erbauten und erfreuten. Mögen die frommen Wünsche des verstorbenen Hrn. Prof. Klar recht reichlich in Erfüllung gehen, der Geist des h. Karl und seine Fürbitte bei der Anstalt und den armen Blinden weilen, und die rastlosen Bemühungen der Schwestern, vereint mit dem unermüdeten Streben des Hrn. Klar recht bald noch erfreulichere Resultate zum Besten der armen Blinden und zur Ehre der Religion hervorrufen, — der schönste, beste Dank, der dieser menschenfreundlichen Familie werden kann.
(Bemerk.)
* — den 31. Oktober. Das Nachfolgende wurde mit dem Wunsche zu Papiere gebracht, es durch Ihre vielgelesene Univ.-K.-Ztg. veröffentlicht zu sehen:
Einiges über die in No. 105 der Aschaffenburger „Katholischen Kirchenzeitung“ vom 21. Sept. 1836 erschienene Kritik über die Vorlesungen des kanon. Rechts an der Prager Universität. Diese Kritik lautet wörtlich also:
„Aus Böhmen, den 26. Aug. Der Professor des Kirchenrechtes an der Karl Ferdinand'schen Universität in Prag lehrt nach seinen Heften gegenwärtig und sagt von der Giltigkeit |Sp. 1494| des Corps juris canonici unter Anderm: Die Bestimmungen über das äußere Kirchenrecht im Verhältnisse zum Staate sind meistens einseitig von der Kirche erlassen, und können daher durch ihr eigenes Ansehen den Staat nicht binden, gleichwie denn auch dieselben größtentheils antiquirt sind. Die Beschlüsse der allgemeinen Concilien läßt er nur in soweit gelten, in wieweit sie irgendwo angenommen worden sind. Die Pflichten der Bischöfe (lehrt der Hr. Prof.) lassen sich auf 4 Objekte zurückführen: 1) auf die eigene Person, 2) auf die Seelsorge, 3) auf den Staat und 4) auf die Regierung. Was die Pflichten der Bischöfe auf ihre Person selbst betrifft, so sind sie wegen derselben dem Beichtvater und ihrem Gewissen verantwortlich. Also Niemanden sonst? Alle Bestimmungen der bischöfl. Pflichten in Hinsicht der Seelsorge kommen immer unter der Firma müssen und können vor, z. B. die Bischöfe müssen öffentliche Kirchenbußen auflegen, wo es zur Genugtuung des durch die Sünde gegebenen Aergernisses nothwendig ist, nur muß in Oesterreich dieses mit höherer Genehmigung geschehen. Für eine Exkommunikation muß das Placetum regium bei der Landesstelle nachgesucht werden. — Die Verfassung des Kirchendirectoriums bleibt jedem Bischof in seiner Diözese überlassen, jedoch muß das Manuscript der Landesstelle vorgelegt, und darf erst nach Gutheißung der Censur gedruckt werden. — Den Konsistorien sind gewisse Verhandlungen so gesetzlich zugewiesen, daß sie sich derselben weder selbst entledigen, noch von dem Bischofe eine andere Weisung erhalten können. — Ueber den äußeren Gottesdienst heißt es unter Anderm: Auch können sie (die Bischöfe) samstägige Abendandachten auf dem Lande, wenn die Gemeinden sie begehren, jedoch ohne Segen und nur mit einem angemessenen Gebete und Gesängen, einführen, sie dürfen aber selbe nicht anempfehlen, noch weniger aufdringen. — Sie können die Hochämter und Litaneien mit Instrumentalmusik abhalten lassen. Auch können bei außerordentlichen Andachten, — dann an hohen Festtagen bei dem Hingehen zum Altar und Weggehen von da, mit ihrem und dem Einverständnisse der Landesstelle Trompeten und Pauken gebraucht werden. — Wir führen diese Sätze aus den Vorlesungen über das Kirchenrecht aus keiner andern Absicht an, als um zu zeigen, wie über diese Materie in Böhmen gesprochen und geschrieben wird. Der Eine meynt, die Kirche Gottes könne nirgendwo in der Welt eingeengt oder bedrückt werden, der Andere lehrt, daß der Bischof ohne Staatsbewilligung kaum einen Schritt in seiner Kathedral- und sonstigen Landkirchen thun dürfe. Welche Begriffe werden so in den Köpfen der Leviten und der gesammten Hörer des Kirchenrechtes über die Kirche und ihre Verhältnisse entstehen? Wer wird sie berichtigen? So systematisch als der Hr. Professor das Kirchenrecht vorträgt, so hat er doch von der Literatur dieses Faches gar keine Erwähnung gethan; dadurch hat er sich den Verdacht zugezogen, daß er seine Hörer mit Schriften nicht will bekannt machen, wo sie ihre Begriffe berichtigen könnten, damit sie auf sein Wort glauben. Sicherem Vernehmen nach, hat der Hr. Professor und Konsistorialrath sein Werk, das er statt des Schulbuches in den Vorlesungen über das Kirchenrecht braucht, nach Wien zu der Hof-Schulkommission eingesendet, damit es als Schulbuch statt des Rechberger's aus den Schulen abgeschafften Enchiridion juris ecclesiastici eingeführt werde. .Es ist ihm zurückgesendet worden mit deutlicher Mißbilligung vieler Thesen darin. Gott gebe, daß ein Schulbuch herauskomme im römisch - kathol. Geiste! —“
Hr. Prof. Helfert glaubte es seinem Amte, seinen Schülern und sich schuldig zu seyn, diese Kritik seiner Vorträge vorläufig seinen Zuhörern bekannt zu machen. Er las sie daher in seiner vorletzten Lehrstunde denselben ab, und hielt darüber eine Vorlesung. Die Indignation gegen den böswilligen Einsender war unter seinen 220 Zuhörern allgemein. Des andern Tags legte ihm einer dieser Zuhörer bei dem Weggehen aus dem Kollegio ein Manuscript auf das Katheder, das wörtlich lautet:
„Ungeachtet einem jeden Akademiker, welcher dereinst nicht wehmüthig rufen will: O mihi praeteritos referat si Jupiter annos! jeder Augenblick lieb und theuer seyn muß, und dieses Bedürfniß um so mehr bei der nahenden Prüfung gefühlt wird: so können wir dennoch nicht umhin, wenigstens einige jener in besagter No. 105 angeführten Punkte zu berühren, und glauben |Sp. 1493| dieß um so mehr schuldig zu seyn, als es unser Wunsch seyn muß, daß sich die Feder unseres ehrwürdigen Herrn Professors und Konsistorialraths, die gewohnt ist, nur Gediegenes zu schreiben, nicht mit der Widerlegung einer elenden Kritik besudle.“
Was unter Anderm das anbelangt, daß der Herr Professor die Aussprüche der ökumenischen Synoden nur in soweit gelten lasse, als sie von den Partikularkirchen angenommen sind — müssen wir den Rezensenten nur bedauern, da ihn ein so großes Elend zu drücken scheint, daß er aus Mangel an Originalität einzelne Gedanken aus fremden Werken unchristlich herausreißt, und seine Feder an den Meistbietenden zu veräußern genöthigt wird, um gegen ein geringes Honorar (nam ut labor, ita merces) dem Redakteur einige Blätter mit verleumderischen Worten vollzufüllen. Denn unmöglich hätte er den Vorwurf machen können, wenn er den ganzen Paragraph gelesen, und selber gewürdigt hätte: indem hierin ein Unterschied gemacht wird, zwischen den Glaubens- und Sittenwahrheiten, und dann den bloßen Disziplinarsachen; jene sind unbedingt für wahr zu halten, diese hat der betreffende Bischof erst zu prüfen, ob sie dem Charakter, den Sitten, der Cultur etc. seiner Diözesanen angemessen sind, oder nicht; denn wer soll diese Verhältnisse genauer kennen, als er? Der Hausvater muß die Bedürfnisse seiner Familie kennen, und sie zu befriedigen suchen. Und selbst da haben wir bemerkt, daß Conformität zwar nicht nothwendig, aber doch der katholischen Kirche zusagend ist, und also die als allgemein nothwendig vorgeschriebenen Disziplinargesetze immerhin von jedem Bischof anzunehmen sind, z. B. das Cölibat etc. …
Weiter heißt es: Der Herr Professor habe die Pflichten der Bischöfe auf 4 Punkte reducirt: auf eigene Person, die Seelsorge, den Staat und die Regierung. —
Dieser Vorwurf erinnert uns an den griechischen Dichter Aristophanes, der, da er den Sokrates durch sein dramatisches Pasquill (die Wolken) verächtlich zu machen suchte, sich selbst geschändet hatte. So scheint es unserem Rezensenten ergehen zu müssen. Denn durch den beigesetzten Begriff: „Regierung“ zeigt er deutlich, daß er weder die Vorlesungen über diesen Gegenstand angehört, noch in den gedruckten Werken des hochverehrten Herrn Professors die Ueberzeugung gesucht hatte, sondern irgendwo einige Blätter elend nachgeschriebener Explication aufgefangen, und darin statt „Residenz“, „Regierung“ gelesen haben mochte. Genug zu seiner Kritik! — Es erging dem Armen ungefähr so, wie jenem Hörer der Rechte, der sich die Explikation von seinem Zöglinge aus der Normalschule abschreiben ließ, und dann statt vicarii foranei — vi cari foraminis, und statt trullanisches Concilium — trowbaisches Convicium u. s. w. lesen mußte. Es möge dem Rezensenten die Beurteilung überlassen bleiben, was dieser Hörer für eine Fortgangsklasse zu erwarten hätte, wenn er so ignorant gewesen wäre, derlei Fehler nicht auszubessern, oder so indolent, seinen fehlerhaft und unverständlich geschriebenen Auszug mit dem gedruckten Original nicht zu vergleichen und zu berichtigen.
(Schluß folgt.)
Deutschland.
Braunschweig.
Braunschweig, im Oktober. Vor einigen Wochen wurde auf einem Kirchhofe vor Braunschweig das Haupt des berühmten Patrioten, Ferdinand von Schill, welches bisher in Leyden aufbewahrt worden war, feierlich bestattet, Einige Monate zuvor war den vormals unwürdig verscharrten Gebeinen von vierzehn Helden aus seiner Schaar, welche die usurpatorische Regierung zu Braunschweig hatte erschießen lassen, unter einem ungemeinen Zulaufe des Volkes und großem Gefolge des Militärs und der Angesehenen der Stadt, eine glänzende Bestattung zu Theil geworden. Bei beiden Festlichkeiten hielt der Pastor Adj. Fink sehr ergreifende Reden, von denen auch die erstere im Drucke erschienen ist. Auf Veranstaltung des Herrn v. Vechelde ist den Märtyrern deutscher Freiheit ein schönes Denkmal errichtet.
— Vier treffliche Geistliche hiesigen Landes sind von der Facultät zu Göttingen bei der Feier des Jubiläums der Universität derselben zu Und den Lesern der Doktoren der Theologie creirt, und zwar die |Sp. 1495| ersteren drei honoris causa. der letztere auf sein Ansuchen und in Folge einer eingesandten Dissertation. Die Namen der Herren sind: 1) Vict. Fr. Lebr. Petri, Hofrath, Professor der klassischen Literatur am Collegio Carolina und reform. Geistlicher zu Braunschweig; 2) Franz Aug. Christ. Westphal, Abt, Hofprediger und Waisenhausschuldirector zu Braunschweig; 3) Friedr. Aug. Ludewig, Generalsuperintendent und Pastor zu Helmstädt; 4) Karl Georg Heinr. Lentz, Pastor zu Halchter. — Petri ist ein sehr vielseitiger Gelehrter und ausgezeichneter Orientalist. Seine neuesten theologischen Streitschriften in Geibel'scher Angelegenheit sind allgemein bekannt. Ludewig ist Verfasser einer Biographie des Herzogs Julius, einer Geschichte der Stadt Helmstädt etc.Univ.-K.-Z. als Mitarbeiter bekannt.Westphal ist einer der gefeiertesten Prediger in der Residenz, um mehrere öffentliche Anstalten, namentlich das Taubstummen-Institut, hoch verdient. Im Drucke sind von ihm mehrere Casualpredigten erschienen. Lentz ist vaterländischer und theologischer Schriftsteller zugleich, besonders bekannt durch seine Dogmengeschichte, deren Studium wir jüngeren Theologen dringend empfehlen dürfen. — Petri und Lentz waren früher schon in der philosophischen Facultät promovirt. — Da die philosophische Doktorwürde hier zu Lande von vielen Individuen, dem Vernehmen nach auch von Einigen, die niemals akademische Bürger waren, geführt wird, so möchte eine Wiedereinführung der alten unterschiedlichen Bezeichnung durch M. und Dr. wünschenswerth seyn.
Blankenburg. Dem verstorbenen General-Superintendenten Zerbst ist in seinem Ephorate ein allgemein verehrter Mann, der bisherige Superintendent und Pastor Guthe zu Greene, und in seinem Pastorate der bisherige Hofprediger und Stadt-Prediger-Adjunkt Forke zu Blankenburg nachgefolgt.
(Allg. K.-Ztg.)
Von
Georg Joseph Götz
, Dekan und Pfarrer in Gnadenberg, bei Neumarkt im Regenkreise Bayerns.
In No. 79 der Univ.-Kirchenztg. tritt Hr. Kirchenrath und Metropolitan Dr. Petri in Fulda gegen angebliche Verunglimpfungen Dr. Martin Luther's von Seite des Hrn. Pfarrers Dr. Zehrt auf. Indem ich mir erlaube, in dieser Sache ebenfalls das Wort zu nehmen, geschieht es keineswegs in der Meynung, Hr. Dr. Z. werde sich nicht selbst zu verteidigen, und zwar kräftig zu vertheidigen wissen, sondern vielmehr darum, um Letzteren zu überzeugen, sein Wort habe nicht überall den nämlichen Anstoß gefunden, und zugleich dem Hrn. Dr. Petri zu beweisen, die Behauptungen des Hrn. Z. seyen keine so ungerechte und ungegründete Verunglimpfungen, wie er sie zu nennen beliebt.
Wenn Luther mit seinem Landesherrn „bekanntlich“ nicht nur in pflichtmäßig-friedlichen, sondern selbst in freundlichsten Verhältnissen“ lebte, so hatte derselbe „bekanntlich“ seine sehr triftigen Ursachen dazu. Darin liegt es ja eben, daß sein Werk in seinem Vaterlande so günstige Fortschnitte machte, daß Luther den Fürsten überhaupt zu schmeicheln suchte, und seinen Landesherrn insbesondere zu gewinnen wußte. Sein Ton änderte sich aber gar sehr, wenn er merkte, daß er bei einem Fürsten nicht durchdrang, d. h. ihn nicht auf seine Seite bringen konnte. Wenn er daher, wie der Hr. Kirchenrath mehrere Stellen anführt, vom Aufruhr kräftig abrieth, so wußte er, warum er es that. Es würde der Reformation wenig förderlich gewesen seyn, wenn überall mit der Kirchen-Umwälzung auch eine Staats-Umwälzung versucht worden wäre. Zum Gelingen seines Werkes, das sah er wohl ein, war ihm die Gunst der Fürsten nur |Sp. 1496| zu nöthig; daher mag er immerhin, was er im Anfange auch wirklich gethan, zum Gehorsame gegen die Obrigkeit, insbesondere gegen seinen Landesherrn und diejenigen Fürsten, die ihm anhingen, aufgefordert haben.
Aber war das auch eine Aufforderung zum Gehorsame, zur Ehrfurcht vor den Fürsten, zur Unterwürfigkeit unter die Regenten, wenn er sagt: „Bisher habe er zwar gelehrt, daß, der rechtmäßigen Obrigkeit zu widerstehen, nicht erlaubt sey; aber jetzt berufe er sich auf die Rechtsgelehrten, deren Grundsätze er bei Abfassung seiner früheren Schriften nicht so gekannt hätte. Uebrigens sey das Evangelium den Staatsgesetzen nicht entgegen, und bei diesen betrübten Zeiten könnte man sich auf das Aeußerste getrieben sehen, wo nicht nur allein das weltliche Recht, sondern auch das Gewissen die Gläubigen verbände, die Waffen zu ergreifen, und wider alle Diejenigen, die sie bekriegen wollten, ja sogar wider den Kaiser sich zu verbinden. (Sleid. lib. 8. 117.) Ist diese Sprache auch die Sprache der Verbreiter des Christenthums gewesen? Ist sie nicht eine Aufforderung zum bewaffneten Widerstande gegen die Obrigkeit? Hat nicht selbst Melanchton über diese Aufforderung zum Kampfe und Aufruhr sich bitter beschwert? War es weiter Ehrfurcht vor den Fürsten, war es Aufforderung zum Gehorsame gegen die Obrigkeit, wenn Luther den Kaiser, der nachmals mit seinen Gebeinen nicht mehr Krieg führen wollte, wie Dr. Petri anführt, auf folgende Weise anredet: „Deutsche Bestie, toller Narr, Teufelsknecht, des Papstes Soldat und kein Monarch, ein Tyrann, der keineswegs zu leiden, sondern soll mit dem Papst von männiglich erschlagen und erwürget werden.“? (Jen. Ausg. Th. VII. p. 276.)
War es Ehrfurcht vor der von Gott verordneten Obrigkeit, wenn er schrieb: „Und sollt Ihr wissen, daß von Anbeginn der Welt gar ein seltsamer Vogel ist um einen klugen Fürsten. Sie sind gemeiniglich die größten Narren oder die ergesten Buben auf Erden, darum man sich allezeit bei ihnen des ergesten versehen und wenig Gutes von ihnen erwarten muß.“? (Deutsche Werke II. f. 181.)
War es Ehrfurcht vor den Fürsten, wenn Luther den Herzog Georg von Sachsen, wenn er den König Heinrich VIII. von England auf jeder Seite: Narr, Schwein, Erzesel nennt? wenn er zu Letzterem sagt: „Pfui, Heinrich, schämt Euch, nicht mehr König, sondern gottesräubischer Mörder!“? (Contra Reg. Angl. 333) —
Ist der Mann, der eine solche Sprache führt, ein Feind des Aufruhrs und ein Freund des Fürsten? — Ich glaube, eine solche Sprache zeige hinlänglich, daß Luther wohl wußte, wann und warum er gegen Aufruhr predigen müsse; daß aber diese Predigt wieder ganz anders lautete, wenn man nicht seinem Sinne huldigte.
Hr. Kirchenrath meynt, daß es weder geistlich noch priesterlich sey, über einen seit Jahrhunderten Schweigenden ein hartes Urtheil zu fällen. Hr. Dr. Z. hat aber über Luther weder als Geistlicher, noch als Priester ein Urtheil gefällt, sondern als Literat, und sonderbar wäre es, wenn über einen Schweigenden, d. h. Todten, ein hartes Urtheil nicht gefällt werden dürfte. Auch Nero und Caligula schweigen; — soll darum das Urtheil des Geschichtschreibers über sie weniger hart seyn? Wie schwer haben sich dann gar viele Protestanten an großen Männern der katholischen Kirche, und der Gefeierte des Hrn. Kirchenraths selbst, z. B. an Hieronymus, versündigt!
Wenn Hr. Dr. Petri einen Vorwurf dem Hrn. Dr. Z. und seinem katholischen Urtheile darum machen zu können glaubt, daß gerade in katholischen Ländern in neueren Zeiten Revolutionen vorkommen: so beweiset derselbe einen höchst, oberflächlichen Beobachtungsgeist. Abgesehen davon, daß die Revolutionen in protestantischen Ländern, z. B. in England, in Schweden, sich schon längst gemacht haben, so fragen wir: An welchen Universitäten hat man denn in Deutschland die demagogischen Conspirationen vorzüglich gefunden? Von welchen Schulen sind sie ausgegangen? Waren, um auf die Revolutionen selbst zu kommen, Rousseau's und Voltaire's Grundsätze, wenn auch Letzterer von Geburt aus und dem Namen nach, wie Luther, Katholik war, katholische Grundsätze? Mußte nicht erst die kathol. Religion untergraben werden, ehe die Revolution gelingen konnte? Darf man die Blutmänner der ersten französischen Revolution, die selbst |Sp. 1497| den Atheismus dekretirten, Katholiken nennen? Hat die kathol. Religion jene Revolution gemacht, die 1830 die Kreuze zerschlug? Sind es katholische Grundsätze, die in Spanien die Klöster abschafften, die Mönche auf den Straßen verhungern lassen, lebensmüde, der Welt entfremdete Greise mißhandeln, Nonnen schänden, Glocken und Kelche verkaufen, Altäre zertrümmern?
Was Mirabeau einst von der französischen Revolution sagte, daß sie die Runde durch Europa machen werde, das ist in Beziehung auf die Reformation schon geschehen. Sie hat die Runde gemacht. Aber sie wurde von den Neuerern in katholischen Ländern nicht da ergriffen, wo Luther begann, sondern da, wohin sie die Neologen in neuester Zeit geführt hatten — und mit der Idee der kirchlichen Freiheit auch zugleich die mit derselben unabweislich sich aufdringende Idee politischer Freiheit verbunden.
Wenn Hr. Dr. P. dem Hrn. Dr. Z. zum Schlusse zuruft : Lesen, ja studiren Sie die Schriften jenes etc. etc., so hat der Kirchenrath vergessen, daß er nicht am Examinir-Tische vor einem Amtskandidaten saß, sondern für ein öffentliches Blatt gegen einen literarischen Gegner schrieb.
Wenn ihm schließlich Luther ehrwürdig scheint, so ist das noch nicht die Folge, daß dieser auch Hrn. Z. oder Andern ehrwürdig erscheinen müsse. Dürften wir die Sprache des Hrn. Kirchenraths nachahmen, so würden Wir sagen: Lesen, studiren Sie Ihren Glaubensgenossen Dr. Plank und seine offenen Geständnisse über Luther!
Von
F. W. Frey, Dekan zu Umstadt
.
(Fortsetzung.)
So entbrannte denn auch der Streit über die Erklärung der Einsetzungsworte gleich nach dem Beginn der Reformation. Durch die eben so berühmten als berüchtigten Streitschriften Luther's gegen die Schwarmgeister, welche mit zu dem Heftigsten gehören, was er geschrieben hat, und welche er am Ende seines Lebens, wie wir aus bestimmten Aeußerungen wissen, gern zurückgenommen hätte, wenn ihm der Verdacht der Inconsequenz nicht allzuempfindlich gewesen wäre, wurde der Bruch unheilbar; die Leidenschaften steigerten sich im Verlauf bis zur feindseligsten, unchristlichsten Erbitterung und die Erschlaffung erfolgte erst gegen Ende des vorigen Jahrhunderts, als die vorherrschende Verstandesbildung sich mit der, um Calvin's Ausdruck zu gebrauchen, frigiden Ausdeutung der Zwingli‘schen Erklärung der Einsetzungsworte ,das Brod bedeutet meinen Leib“ allgemein zufrieden gab, und ihre Annahme bei jedem Gebildeten eo ipso voraussetzte, mochte er sich nun mit dem Munde dazu bekennen, oder nicht. Die neuesten Weltereignisse aber erschütterten wieder diesen indifferenten Verstandesfrieden, und die hartnäckige Opposition der Orthodoxen, sowohl von Seiten der Lutheraner in Schlesien, als der Calvinisten in Holland brachte die Bedeutung des Abendmahlstreites wieder zum Bewußtseyn. Auch hat man die Ursache, sich zu diesem neu erwachtem Eifer Glück zu wünschen; denn da ein Gegeneinandereifern in Wahrheit nur bei solchen möglich ist, die im Wesen der Sache gereinigt sind, und da der Streit bei dem jetzigen Standpunkt der Wissenschaft in der Einseitigkeit bloßer Wortexegese sich nicht lange mehr halten kann, sondern nothwendig zum Begriffe der Sache fortgedrängt wird, so kann das Resultat nur eine wirkliche Union im Dogma seyn, und nur eine solche hat kirchliche Bedeutung und zeugt ein geistig kräftiges, religiöses Leben.
Um aber zu diesem Begriff der Sache zu gelangen, müssen wir zum Anfang des Streites zurückkehren, und uns die einzelnen Streitpunkte in ihrem noch unversöhnten Widerspruch zum Verständniß zu bringen suchen.
Worin Luther und Zwingli miteinander übereinstimmten, war einmal die befangene Ansicht, das Hauptgewicht des Strei- |Sp. 1498| tes ruhe allein auf der richtigen Auslegung der Worte „das ist mein Leib“, welche Luther zum Beginn des Marburger Gesprächs mit großen Buchstaben auf die Tafel schrieb; das anderemal der für sie zweifelslose Glaube, daß der Christ mit dem Fleisch und Blut Jesu Christi genährt werden müsse zur Gewinnung des ewigen Lebens, wie denn Zwingli in seiner Epistel an Deutschland's Fürsten betheuert: „Nos nunquam negavimus, corpus Christi sacramentaliter ac in mysterio esse in coena.“ Was aber Beide so weit auseinandertrieb, war bei Zwingli die entschiedene Abneigung vor der sinnlichen Veräußerlichung der katholischen Transsubstantiationslehre, bei Luther die eben so große Furcht vor schwärmerischer, die Auktorität des Schriftworts geringer achtenden Vergeistigung der Kirchenlehre. Interessant ist hierbei, daß gerade Zwingli im Widerspruch mit allen rationalistischen, und in Uebereinstimmung mit allen supernaturalistischen und spekulativen Exegeten der neueren Zeit, die innere Bezugnahme des sechsten Kapitels im Evangelium des Johannes, in welchem Jesus sich über die wesentliche Mittheilung seines Fleisches und Blutes an die Gläubigen erklärt, auf die Einsetzungsworte des heiligen Abendmahls festhielt, während Luther aus alleiniger Furcht vor einer zu weit führenden Anwendung der Worte im 63sten Vers: „Der Geist ist es, der lebendig macht, das Fleisch ist keinem nütze — die Worte, die ich rede, sind Geist und Leben“ dieser Bezugnahme widersprach.
Die Hauptunterschiede beider Reformatoren lassen sich auf folgende zwei Punkte zurückführen. Zwingli läugnete zuerst, daß der Gläubige im Abendmahl eine andere lebendigmachende Speise des Fleisches und Blutes Christi genieße, als außer dem Abendmahl, er empfange vielmehr an beiden Orten auf eine Weise und auf einem Wege des Glaubens eine und dieselbe Speise. Luther dagegen machte das substanziale Genährtwerden mit dem Leibe und Blute Christi vom Essen und Trinken des Brodes und Weines im heiligen Abendmahl abhängig, worin die, damals nur nicht urgirte, Folgerung eingeschlossen liegt, daß alle die, welche dieses Mahl nicht genießen, der Seligkeit verlustig gehen.
Zwingli läugnete es ferner, daß, um mit dem Wesen Jesu Christi substanzialiter genährt zu werden, der leibliche Genuß des Leibes nothwendig sey, den Jesus aus Erden angezogen habe, welcher vielmehr, nachdem er auf Erden genützt, in verklärter Gestalt im Himmel verbleibe. Luther aber hielt diese Nothwendigkeit fest, selbst mit Gefahr, dadurch der katholischen Ansicht das Wort zu reden, indem der geltend gemachte Unterschied, daß wir den wirklichen Leib zwar ore, non tamen Capernaitice, sed supernaturali et coelesti modo empfingen, eben so unbestimmt, als unverständlich ist. Auch kann es der Auslegung Zwingli's nur zum Vortheil gereichen, daß er allen Momenten, welche in den Einsetzungsworten berührt werden, — als z. B. das thut zu meinem Gedächtniß — das ist das Neue Testament in meinem Blute — für Euch gebrochen und vergossen — verkündigt dabei den Tod des Herrn — das ist die Gemeinschaft des Leibes und Blutes Christi — wir alle sind Ein Leib, dieweil wir Eines Brodes theilhaftig sind — gleiches Recht wiederfahrenließ, und ihnen zum würdigen Genuß des heiligen Abendmahls gleiche Wichtigkeit beilegte, während Luther, dem einzig bei Matthäus sich findenden Zusatz „εις αφησίν αμϰρτιων“ ein solches Uebergewicht einräumte, daß in seinen Katechismen, und in Folge davon in den meisten lutherischen Symbolen, kaum von einer andern Gnadengabe, welche durch das heilige Abendmahl in den Gläubigen vermittelt werde, die Rede ist. Nur in diesem Bewußtseyn, der von ihm aufgenommenen biblischen Wahrheit, konnte Zwingli an das künftige Jahrhundert appelliren; konnte er von der Gewißheit, daß alle Völker Deutschland's seine Meynung im Herzen trügen, durchdrungen seyn; konnte er mit kaltem Muthe behaupten, selbst der Teufel vermöchte ihn hierbei nicht zum Ketzer zu machen, und dennoch haben wir Luther's Hartnäckigkeit nicht zu beklagen. Wäre Zwingli's Worterklärung „das bedeutet meinen Leib“ als die allein richtige, damals schon zu allgemeiner Anerkennung gelangt, so war die protestantische Kirchenlehre der Gefahr ausgesetzt, der Herrschaft des Verstandes zu verfallen, und so ihres tieferen religiösen Gehalts entleert, und ihres Zusammenhangs mit der fortdauernd gegenwärtigen und weiterführenden Offenbarung Gottes verlustig zu werden. |Sp. 1499| Daß diese Gefahr auch für die refomirte Kirche vermieden wurde, ist das große Verdienst Calvin's. Mit der energischen Kraft seines Denkens und seines Glaubens trat er als Vermittler in diesem Streite auf, und es ist bis heute zu beklagen, daß man seiner Vermittlung, worin die wahre Union der Protestanten begründet liegt, widerstrebte. War doch diese Union in der innigsten Herzensfreundschaft zwischen Calvin und Melanchton schon damals, als eine wirkliche Wahrheit in's Daseyn getreten, und ist doch Luther'n wegen keiner seiner Handlungen ein härterer Vorwurf zu machen, als weil er bei seiner Hartnäckigkeit auch da noch beharrte, als die Ueberzeugung absoluter Wahrheit sich nicht mehr damit verband, wie aus jenen oben erwähnten Aeußerungen desselben deutlich erhellt.
(Schluß folgt)
Von Dr.
B. H. Auerbach
, großherzogl. hessischer Rabbiner in Darmstadt.
Mit Anmerkungen begleitet vom Oberlehrer Dr.
M. Heß
.
(Schluß.)
2) Ich frage ferner, wenn Sie in allem Ernste die Schrift nach „der von Wissenschaft und redlichem Forschungsgeiste geleiteten Vernunft“ auslegen, wie können Sie „der Untersuchung über die Zeit, in welcher der Pentateuch seine gegenwärtige Gestalt erhalten“, sich vorerst entschlagen? Besteht diese Verfahrungsweise vor dem Richterstuhl einer von Wissenschaft und redlichem Forschungsgeiste geleiteten Vernunft? Entspricht sie den Prinzipien der Kritik und Hermeneutik? (1) Mich —wenn ich von mir auf Sie schließen darf — mich würde die Annahme einer bloß wissenschaftlichen Behandlung der Schrift, d. h. ohne Rücksicht auf Autorität der Tradition — die unumstößliche Schutzmauer gegen ungestümme Spekulationen und Verirrungen — mich würde diese Annahme zu dem Resultate führen, was in den letztern Dezenien die kritischen Forschungen in der biblischen Literaturgeschichte dargethan, nämlich, daß die Angabe von der Moses zugeschriebenen Abfassung des Pentateuch (mit Ausnahme der Gesetztafeln, die nach Angabe der historischen Bücher sich wirklich in der h. Lade befanden) nicht als historisches Faktum anzunehmen, ja daß vor Josia II. Kön. 22, eine solche Schrift nicht einmal dem Namen nach vorhanden gewesen sey. Eben so rücksichtslos würde ich mit den andern Büchern der Bibel verfahren und gewiß auch ihre Verfasser der gröbsten Irrthümer und Anachronismen beschuldigen, wie dieß Bauer, de Wette und v. A. gethan. Sie sehen also wohin — saltus in probando — die Autorität einer von Wissenschaft und redlichem Forschungsgeiste geleiteten Vernunft das Judenthum führt. —
3) Doch auch davon abgesehen, wie können Sie uns zu der Annahme bereden, daß mit der Auflösung des jüdischen Staats die Zeremonialgesetze nicht mehr obligatorisch seyen, ohne vorerst die spezifische Verbindung jedes Zeremonialgesetzes mit der ehemaligen politisch-religiösen Verfassung nachgewiesen zu haben, z. B. warum die Verbote, Fische ohne Floßfedern, ohne Springbeine auf vieren gehendes Geflügel zu essen (Lev. 11) und hundert andere, als untrügliche Mittel zum Gedeihen dieser Verfassung gelten konnten — kurz, ohne vorher durch analytische und synthetische Behandlung der Gesammtzahl dieser Gesetze zur Motivirung dieser Behauptung gelangt zu seyn? Daß Sie in einigen Gesetzen diesen oder jenen Grund muthmaßen, auch zur Wahrscheinlichkeit erheben, das genügt für alle Freilich auch in diesem Falle würde der Gewissenhafte die Gränzlinie, welche Ehrfurcht vor Gott zwischen Spekulation und Ausübung zieht, nicht überschreiten. Mendelsohn's Jerusalem 128 u. f. Dr. A.|Sp. 1500| so Großes, so Wichtiges für das praktische Leben der Jetztzeit zu folgern. (2)
4) Sie behaupten ferner, die Schrift selber spreche sich dahin aus, daß die Verbote der unreinen Speise mit der Staatsverfassung der Israeliten zusammenhängen. Ich suche und suche abermals, finde aber weder in der Haupt- und Originalstelle Lev. 11, noch in Deut. 14 eine Spur davon. Hingegen lese ich Dan. 1, daß die frommen Exulanten in Babylon, Daniel und Cons., nicht ohne Gefahr für Leben und Gesundheit, dem Genusse verbotener Speisen entsagten, und da die in Rede stehenden Männer keine Priester, — welche nach Ihrer Ansicht sich deßhalb rein halten mußten, um bei der Wiedererbauung des Tempels nicht verunreinigt zu seyn. Was aber meines Erachtens grundfalsch ist, da die am zweiten Tempel wieder angestellt wordenen Priester schon wegen Pollutionen (Lev. 16, 15) und tausend anderer im Exil unvermeidlich gewesener Verunreinigungen, durch Berührung der Todten, der Gefäße u. s. w. nach Lev. 17 und Num. 19 derselben und noch schwerer Reinigung bedurften, als hätten sie unreine Speisen genossen, wofür denn auch das historische Factum Esra 6,20 spricht. (6) Dr.A.
5) Wenn es Ihnen aber nach dieser Ansicht unbegreiflich scheint, wie Ezechiel (Kap. 4) sich rühmen konnte; „Sieh! nie wurde meine Seele befleckt, von meiner Jugend an bis jetzt habe ich weder Gefallenes, noch Zerrissenes, noch Verabscheuungswerthes gegessen“, da dieß doch allgemein verboten ist? So mögen Sie vorerst nach Ihrer Annahme, daß die Priester in Babylon sich der unreinen Speisen enthalten mußten, um bei der Wiederbauung des Tempels rein zu seyn, die Frage lösen: wie konnte Ezechiel, selbst Priester (Kap. 1) sich dessen so sehr rühmen, was er allen Priestern zur Pflicht machte? (4) Allein eben dieser Widerspruch spricht nach streng wissenschaftlicher und historischer Ausgleichung gegen Ihre Ansicht. Aus Esra 9 ff. und Nehemia 13 ff. geht ferner hervor, daß die Juden in Babylon, wahrscheinlich durch Drangsale mancherlei Art, auch die wichtigsten Gebote und Verbote der h. Schrift unbeachtet gelassen, ja fast die ganze heilige Lehre vergessen, da selbst die vornehmen Leviten und Priester Götzendienst getrieben, Götzendienerinnen geehelicht und den Sabbath entweiht haben. Daher unternahm es Ezechiel, — wissend, daß das gemeine Volk in jener traurigen Lage seinen Ermahnungen, namentlich hinsichtlich des Verbotes der unreinen Speise unzugänglich sey — wenigstens seine pflichtvergessenen Amtsbrüder zu ihrer Pflicht zurückzuführen (Kap. 44, 31); daher auch seine Erwiederung auf die Zumuthung (Kap, 4) sein Brod mit Menschenkoth zu verunreinigen; er vermöge und verdiene dieß um so weniger, als er bei allen Leiden und Nöthen sich nicht, wie viele seines Gleichen, verunreinigt habe durch den Genuß unerlaubter Speisen. —
6) Doch was mir in ihrer Diskussion über diesen Gegenstand am unbegreiflichsten scheint, daß Sie Ihre Annahme, das Ceremonialgesetz sey ein integrirender Theil der ehemaligen jüdischen Staatsverfassung auch auf das Verbot des Blutessens ausdehnen. Läßt sich doch aus Gen. 9. mit aller Evidenz erweisen, daß dieß Gebot nicht im entferntesten mit dem besondern Verhältniß des jüdischen Staats in Verbindung steht, sondern rein kosmopolitisch ist: „Gott sprach zu Noah und seinen Kindern“ — also zu allen Menschen — „Alles, was sich reget und lebet, das sey Euch zur Speise, wie das grüne Gras habe ich's Euch gegeben; allein Fleisch mit seiner Seele — dem Blute — sollt Ihr nicht essen“. Läßt sich hier Bezugnahme auf Palästina, auf einen politisch-religiösen Verein der Israeliten fingiren? Freilich die Tradition will in diesem Verbote etwas ganz Anderes (אבד ובשר מן התי) finden; allein daß Sie, nur den Regeln einer wissenschaftlichen Hermeneutik huldigend eine solche Interpretation verwerfen — müssen, wird Niemand in Abrede stellen, (5)
Wie Sie nun, geehrtester Hr. Dr., diese Fragen genügend beantworten, dürfte jedem Freunde der Wahrheit — er gehöre zu Ihrer oder einer andern Partei —
von großem Interesse seyn.
|Sp. 1501|
1) Abermalige nicht zur fraglichen Sache gehörige Seitensprünge. Wir haben gesagt, daß wir die Untersuchung über die Zeit, in welcher der Pentateuch abgefaßt worden, deßhalb überzeugen, weil selbst bei der Annahme, daß derselbe im mosaischen Zeitalter abgefaßt sey, die Frage über die Verbindlichkeit des Ceremonialgesetzes in unserer Zeit verneinend entschieden werden müsse, und diese Untersuchung daher hier überflüssig sey. Wohin die von der Wissenschaft geleitete Vernunft Hrn. Dr. Auerbach führen würde, und wie er sich gegen die drohenden Gefahren der forschenden Vernunft durch den blinden Glauben an die, allerdings um Grammatik, Logik, Wissenschaft und Vernunft unbekümmerte, talmudische Tradition — (die wir in einer andern) Abhandlung zu beleuchten gedenken) — schütze und bewahre, das ist seine Sache. Andere hegen diese Vernunftscheu nicht und werden eine Tradition, die sich darauf stützet, schon darum, als einen Widerspruch der Gottheit mit sich selbst, für unwahr erklären müssen. Wir glauben übrigens nicht, daß die wahrhaft göttlichen, in dem menschlichen Bewußtseyn so tief begründeten und allgemein anerkannten Lehren der h. Schrift die Kritik der Vernunft zu fürchten haben. Fürwahr, es stünde schlimm mit dem sittlichen Zustande der Menschheit, wenn die wahre Religion die Resultate einer solchen Prüfung zu fürchten hätte.
2) Daß, wie sich die Bibel an unzähligen Stellen klar ausspricht, Absonderung von dem damaligen gräuelvollen Götzendienst, Hauptzweck des Ceremonialgesetzes sey weiß jeder, der die Bibel mit einiger Aufmerksamkeit liest und es haben Maimonides in More Nebuchim und andere sich ausführlich genug darüber erklärt und viele Verbote und Anordnungen daraus hergeleitet; von allen Ceremonialgesetzen, nach mehr, als dreitausend Jahren, den Grund auffinden zu wollen, ist natürlich unmöglich und, nach dem, von den biblischen Juden aufgestellten allgemeinen Prinzip, auch unnöthig. Viele stehen bekanntlich mit dem Tempel in Verbindung. Dahin gehören alle Gesetze von Rein und Unrein. Zufolge der Schrift begeht der, welcher sich verunreinigt, keine Sünde, sondern muß nur das Heiligthum so lange unbetreten lassen, bis er die rituelle Reinigung vorgenommen. „Ihr sollt, (heißt es 3 B. K. 15,31 nach dem alle Gesetze von Rein und Unrein vorgetragen worden), die Kinder Israel‘s abhalten von der Verunreinigung, damit sie sich den Tod nicht zuziehen, wenn sie meine Wohnung verunreinigen.“ Daher denn auch die Vorschrift (ibid. T. 11,32) „Alles, worauf etwas von ihnen (den „unreinen Thieren nach ihrem Tode fallen wird, es sey hölzernes „Geräth oder ein Kleid u. s. w., es muß in Wasser gebadet werden, irdenes Geschirr müßt Ihr zerbrechen, Backofen und Feuerheerde müssen eingerissen werden“ nicht mehr beobachtet wird; aus welchem Grunde sollten nun die Vorschriften von Rein und Unrein in Beziehung auf Speisen beobachtet werden müssen? Ja noch mehr. In einem und demselben Verse (ibid. V. 8) heißt es: „von ihrem Fleische (der unreinen Thiere) sollt Ihr nicht essen und ihr Aas sollt Ihr nicht berühren.“ Das Berühren des Aases ist nun erlaubt und der Genuß des Fleisches sollte verboten seyn? Diese Logik wird dem gesunden Verstande schwerlich einleuchten.
3) Das zwölfte Kapitel des 5 B. M. beginnt mit den Worten: „Folgendes sind die Gesetze und Rechte, die ihr beobachten sollt in dem Lande, das der Ewige, der Gott Deiner Väter Dir zum Eigenthum gegeben, so lange Ihr lebet auf dem Erdreich“ und nun folgen diese Gesetze und unter denselben auch die über die unreinen Thiere.
4) Wir haben keineswegs gesagt, daß den Priestern auch außerhalb Palästina das Essen von gefallenem oder zerrissenem Vieh verboten sey sondern daß Ezechiel, weil der Wiederaufbau des Tempels bevorstand, sich dessen freiwillig enthalten und es auch den Priestern anempfohlen habe. Dieses sagt er selbst mit den ausdrücklichen Worten: „Alles Gefallene oder Zerrissene es sey von Geflügel oder von Vieh sollen die Priester nicht essen.“ (K. 44,31) Die Deutung des Hrn. Dr. Auerbach gehört zu denen, wie sie nur in der rabbinischen Literatur gang und. gäbe sind. Wenn Daniel, (der uns jedoch keine infaillible Autorität ist) nicht an der Tafel des Königs essen wollte, so geschah es höchst wahrscheinlich aus dem Grunde, weil von den Speisen vor oder während dem Essen den babylonischen Gottheiten geopfert wurde, oder die Speisen selbst Theile von Opfern waren — was auch Aben Esra in seinem Commentar andeutet.
5) Im Deut. K. 12,15 wird den Israeliten erlaubt auch außerhalb dem heiligen Orte, also ohne zu opfern, zu schlachten und zu essen, das Blut aber, (welches bei'm Opfer am Altare vergossen wurde) soll auf die Erde gegossen werden. Vergleichen wir hiemit 3. B. Kap. 17,11: „Denn das Leben des Fleisches ist im Blut und ich habe es Euch gegeben , auf dem Altar Euer Leben zu versöhnen“, so scheint unstreitig das Verbot des Blutessens mit den Opfern zusammenzuhängen und wegen des heidnischen Gebrauches, den Göttern Blut zu opfern und ihnen zu Ehren Blutspeisen zu genießen, gegeben worden zu seyn. S. 1 Sam. 14, 32: „Ihr esset bei'm Blute und richtet Eure Blicke auf Euere Götzenbilder.“—Die |Sp. 1502| von Hrn. Dr. Auerbach citirte Stelle über das an Noch ergangene Verbot übersetzen wir, ohne Tradition, mit der Septuaginta: aber Fleisch im Blute des Lebens (ϰρἐας ἐν αῖματι ψυχῆς) sollt Ihr nicht essen“ d. h. Fleisch von einem lebenden Thiere. — Auf welche Art man indessen auch das Verbot des Blutessens erklären mag, so hat die Bibel offenbar mit den Worten: „das Blut sollst Du nicht essen, auf die Erde sollst Du es gießen, wie Wasser“, nur das bei‘m Schlachten herausströmende Blut verstanden aber keinesweges, daß man dem Fleische durch Salzen jeden Blutstropfen entziehen soll.
6) Warum aber mußten sich nicht, in Gemäßheit der Vorschriften des Pentateuch, alle Israeliten dieser Reinigung unterwerfen, bevor sie den Tempel betreten durften? Darum weil man sich außerhalb Palästina nicht verunreinigt; die Priester aber sollten dadurch von neuem eingeweiht werden.
Hr. Dr. Auerbach hat Fragen an uns gerichtet, aber die Hauptstellen, auf welche wir unsere Ansicht gründeten, und die klar und deutlich sprechen, übergeht er mit Stillschweigen. Wir wollen dieselben hier noch einmal wörtlich hersetzen.
5 B. 4,5. „Siehe, ich habe Euch gelehrt Gesetze und Rechte, wie mir der Ewige, mein Gott befohlen, daß Ihr so thuet in dem Lande, dahin Ihr kommt, es in Besitz zu nehmen.“
Ibid. Kap. 13,14: „Er trug Euch selbst sein Bündniß vor, daß er befohlen zu halten, nämlich die Zehn Gebote und schrieb sie auf zwei steinerne Tafeln; mir aber befahl der Ewige damals, Euch zu lehren Gesetze und Rechte, um sie auszuüben in dem Lande, dahin Ihr gehet, es einzunehmen.“ und besonders:
Ibid. Kap. 5. wo Moses nach der Erzählung von Verkündigung der Zehn Gebote und der Bitte der Israeliten (V. 24) „Tritt Du hinzu, höre alles, was der Ewige, unser Gott, sagen wird, Berichte uns dann wieder alles, was der Ewige, unser Gott, zu Dir reden wird, so wollen wir solches vernehmen und darnach thun.“ V. 25‒28 also fortfährt:
„Der Ewige vernahm Eure Worte, als Ihr zu mir sprachet und sagte mir: ich habe vernommen die Worte dieses Volkes, die sie zu mir gesprochen; sie haben wohl geredet. Möchte dieser ihr Sinn ihnen bleiben, mich zu fürchten, und alle meine Gebote jederzeit zu beobachten, damit es ihnen und ihren Kindern immer wohlgehen möge. Gehe hin, sage ihnen, kehret zurück in Eure Zelte; Du aber bleibe hier und ich will Dir verkündigen alle Gebote, Gesetze und Rechte, die Du ihnen lehren sollst, daß Sie solche ausüben in dem Lande, das ich ihnen gebe es in Besitz zu nehmen.“
Wer diese Stellen ohne spitzfindige Deuteleien und Verdrehungen liest und mit denselben die von uns (in No. 78) aus den Propheten und Psalmen angeführten Schilderungen der Gottesfurcht und Frömmigkeit vergleicht, wird mit voller Ueberzeugung der Denkweise der biblischen Juden beistimmen.
(92) In der Johann Palm'schen Verlagsbuchhandlung in Landshut ist erschienen und in allen Buchhandlungen zu haben:
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Dr. J. V. Hoeninghaus. –
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Maschinendruck
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